Corona-Pandemie

Hier findet Ihr Erfahrungsberichte zweier Autisten, wie sie mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie umgehen.

Balduin, der Elefant:

Die Coronakrise ist etwas, was die Regeln unseres Alltags verändert, und diese Veränderungen des Alltags sind für mich als Autisten oft belastend.
Damit die Leser dieses Textes dies von Anfang an richtig einordnen: Als Naturwissenschaftler finde ich Regeln zur Pandemiebekämpfung sehr wichtig, damit die Ausbreitung der Pandemie gestoppt werden kann, und habe dafür volles Verständnis. Gleichzeitig ist es für mich mit besonderen Anstrengungen verbunden, die Regeln zur Pandemiebekämpfung im Alltag einzuhalten.
Zum Beispiel hat es mich schon vor der Corona-Krise belastet, dass ich beim Gang aus dem Haus auf drei Dinge achten musste: Ich musste darauf achten, meinen Geldbeutel mitzunehmen, mein Handy und meinen Haustürschlüssel. Ich bin sehr zerstreut, und muss mich immer sehr bewusst darauf konzentrieren an alles zu denken – aber nun muss ich als vierte Sache auch darauf achten, immer eine Maske mitzunehmen, weil es könnte sich bei jedem Gang vor die Haustür eine Situation ergeben, wo ich die Maske benötige.
Anfangs habe ich die Maske bei Spaziergängen nicht mitgenommen, weil ich dachte, ich würde dann schon immer im Vorhinein wissen, dass ich in kein Geschäft hineingehe und sie nirgends brauchen würde – aber es kam dann doch zu oft vor, dass mir z.B. einfiel, dass ich doch nochmal Geld am Bankautomaten abheben könnte oder ich mir unterwegs gern etwas zu essen gekauft hätte. Also nehme ich die Maske jetzt immer mit, und kontrolliere unterwegs alle paar Minuten, ob ich sie ebenso wie Geldbeutel, Handy und Haustürschlüssel einstecken habe.
Eine andere Sache, die mich im Alltag oft stresst, ist die Einhaltung des Mindestabstandes. Auch diesen empfinde ich als eine wichtige Maßnahme zur Pandemiebekämpfung – hier belastet mich aber, dass einige Situationen im Alltag gar nicht dafür ausgelegt sind, dass diese Regeln praktisch durchführbar sind.
Ein Beispiel dafür: Ich würde mich ja schon gerne an den Mindestabstand in Supermärkten halten, aber die Gänge dort sind so eng und so viele Leute im Supermarkt, dass es praktisch beinahe unmöglich ist, ausreichend Abstand zu meinen Mitmenschen zu halten – um das zu ermöglichen, müssten die Supermärkte anders, nämlich mit breiteren Gängen eingerichtet werden… Ich kann nur versuchen, dort, wo es zu eng für den Mindestabstand ist, noch so gut wie möglich Abstand zu meinen Mitmenschen zu halten – aber wohl fühle ich mich nicht dabei.
Eine weitere Sache, die mich belastet ist, dass ich mich vor der Pandemie gerne mit Freunden, z.B. aus meiner Autismus-Selbsthilfegruppe, zu gemeinsamen Brett- und Kartenspielen getroffen habe. Das macht mir im Gegensatz zu einem Kneipenbesuch Spaß, weil man bei Brettspielen mit seinen Mitmenschen nach festen Regeln interagiert, und in der häuslichen Ruhe einer Wohnung wirken auf mich auch wesentlich weniger stressige Sinnesreize als in einer Kneipe ein. Daher können auch und gerade Autist:innen an Brettspielen viel Freude haben…
Aber nun, in der Pandemie, sind diese Spieleabende nicht mehr möglich. Immerhin, wir treffen uns nun gemeinsam zu Online-Spieleabenden – doch das schränkt die Auswahl der möglichen Spiele ein, und man ist darauf angewiesen, das die Technik bei allen Mitspielern funktioniert (was schon des Öfteren nicht der Fall war).
Insgesamt sehne ich mir schon sehr das Ende der Pandemie herbei – und hoffe, dass die Impfungen im Kampf gegen Corona die Wende bringen…
Ich wünsche Euch viel Kraft und Gesundheit für diese schwierige Zeit!
Liebe Grüße
Euer
Balduin


Maria:

Die Coronasituation ist eine Ausnahmesituation, bei der es sehr viele Regeln zu beachten gibt. Der Alltag ist für mich an sich schon eine Herausforderung, Corona und die Lockdowns verstärken diese Schwierigkeiten.
Besonders am Anfang war es schwierig für mich, weil man sich sehr schnell an eine neue Situation anpassen musste, zum Beispiel ob man verreist oder in eine Gaststätte geht. Die Freizeiteinrichtungen mussten ohnehin von einem Tag auf den anderen schließen. Am ersten Tag, an dem die Coronasituation bekannt wurde, ging ich mit Freunden in eine Gaststätte. Einen Kurzurlaub mit ihnen, der drei Wochen später stattfinden sollte, sagte ich dagegen ab. Dieses Risiko war mir zu groß, denn ich arbeite in einem Pflegeheim, die Bewohner dort sind Hochrisikopatienten.
Der erste Lockdown war ungewohnt für mich, es waren sehr viele neue Situationen auf einmal, zum Beispiel dass die Geschäfte einige Tage später schlossen.
In der ersten Zeit traf ich mich mit niemandem in meiner Freizeit, ging allein spazieren. Nach einiger Zeit traf ich mich dann doch mit jeweils einer Person aus einem anderen Haushalt.
Im Sommer 2020 fuhr ich für eine Woche an die Ostsee für eine Aquarellmalfreizeit. Die Züge von Berlin nach Thiessow und zurück sind meistens sehr voll, diesen Punkt hatte ich leider nicht bedacht. Der Urlaub gefiel mir trotzdem sehr gut.
Im zweiten Lockdown wurden die Kontaktbeschränkungen um die Weihnachtszeit gelockert. In dieser Zeit fuhr ich zu meinem Onkel und meiner Tante nach Jena, mein Bruder und mein Cousin kamen auch. Wir waren zu fünft. Es war sehr schwierig für mich, eine solche Entscheidung zu treffen.
Zum Himmelfahrtswochenende Mitte Mai plant mein Onkel, dass wir als ganze große Familie zusammenkommen werden. Wir wären insgesamt 10 Personen, mein anderer Cousin würde noch mit seiner Familie kommen. Diese Zusammenkunft sehe ich im Moment als sehr riskant an. Zum ersten Hochzeitstag von meinem Cousin im Juli möchte ich gern hinfahren, wenn es klappen sollte.
Was mich am Lockdown stört, ist, dass es nicht möglich ist, sich mit mehreren Personen gleichzeitig zu treffen.
Auch dass man seit Anfang März zum Stöbern in den Geschäften einen Termin vereinbaren muss, bedeutet Stress für mich, zumal ich mit der Terminkoordinierung ohnehin schon Schwierigkeiten habe. Manchmal habe ich das Glück, dass ich in den jeweiligen Laden hineingelassen werde, wenn ich vorher draußen warte. Das macht es für mich einfacher.
Doch ein Lockdown hat auch seine guten Seiten, ich komme zum Beispiel durch Spaziergänge und Tätigkeiten zu Hause mehr zur Ruhe, muss nicht von einem Termin zum anderen hetzen. Außerdem haben Menschen, die sehr bestimmend mir gegenüber sind, weniger Macht über mich, ich habe nur telefonisch oder digital Kontakt mit ihnen. Auf diese Weise lebe ich ruhiger.